Going the distance: am Rande des Abbruchs

11 Januar 2023・story
Going the distance: am Rande des Abbruchs

Etwas vom Schönsten, was ein Bike bietet, ist Freiheit. Zu fahren, wohin Du willst. Deine körperlichen und geistigen Grenzen zu erweitern. Die Serie «Going the distance» soll Dir als Leitfaden und als künftige Inspiration dienen. Sie basiert auf unseren eigenen Erfahrungen mit Bikepacking, Randonnéees und Ultradistanzrennen.


Mit der Erfahrung einiger Brevets und weiterer Fahrten über lange Distanzen meldeten sich unser Guide Marco und Ralph fürs Winterbrevet von AUDAX SUISSE an. 400 Kilometer sollten es werden. In diesem Jahr findet wieder die Mutter aller Langstreckenfahrten, Paris-Brest-Paris, statt, für die sich mensch mit einer Superrandonnée qualifizieren muss.

Da ist es verlockend, eines der verlangten Brevets bereits zu Jahresbeginn abhaken zu können. Die Spezialität dieser Winterbrevets ist, dass die Teilnehmenden den Startort auf der Strecke selber wählen können. Statt im schaffhausischen Buch ‒ quasi der Heimat von AUDAX SUISSE ‒ starteten die beiden in Baden, das mit dem Zug von Basel aus einfach zu erreichen ist.

Trocken und kalt

Die Tipps aus unserer Serie «Going the distance» nahmen die beiden ernst. Nur einen Punkt konnte Ralph nicht erfüllen. In den fünf Wochen vor dem Brevet kam er kaum aufs Bike und hatte deshalb vergleichsweise wenige Kilometer in den Beinen.

Das Brevet startete am Freitagabend um 19:30 Uhr. Der Wetterprognose zufolge sollte es trocken bleiben, die Temperaturen sich nachts aber um den Gefrierpunkt bewegen. Also den ersten Tipp beherzigt: gute Winterkleidung tragen, inklusive Winterschuhe. Am Startpunkt mussten die beiden ein kurzes Video mit gut erkennbarem Hintergrund erstellen sowie das Bike inklusive Beleuchtung abfilmen. Die Bewegtbilder dienten dem Organisator Thomas als technische Abnahme.

Gemütlich rollen

Im Zentrum von Baden geht es zuerst in fast alle Richtungen hoch. Deshalb rollten die beiden eher gemütlich los, um nicht gleich zu übersäuern. Die Route führte über Nebenstrassen Richtung Rhein, den sie in Kaiserstuhl überquerten. Mit wenig Verkehr ging es immer wieder über die schweizerisch-deutsche Grenze bis nach Buch. Die Temperaturen waren da noch relativ angenehm. In Buch begrüsste Thomas die Teilnehmenden persönlich. Nach einem kurzen Schwatz und warmem Punsch (alkoholfrei!) hiess es wieder losrollen. Immerhin waren noch 340 Kilometer zu absolvieren.

Nach 80 Kilometern machte sich bei Ralph aber bereits die fehlende Vorbereitung bemerkbar. Einerseits setzten Schmerzen in den Beinen ein. Nicht stark, aber lästig. Andererseits konnte er kaum Energie aus seinen Reserven abrufen. Regelmässiges Essen war nötig. Durch die Nacht mit geschlossenen Tankstellen-Shops gab es aber ausschliesslich Riegel und Gels. Der Weg führte zum Bodensee und an dessen Südufer entlang bis zum Rhein.

Kälte

Auf dem Rheindamm Richtung Sargans fielen die Temperatur dann rasch bis zum Gefrierpunkt. Das sollte bis in den späten Morgen hinein so bleiben. Nun sind die beiden tiefe Temperaturen vom FIRESTARTER gewohnt. Aber es ist doch noch einmal ein grosser Unterschied, ob mensch zweieinhalb oder acht Stunden in dieser Kälte fährt. Einerseits kriecht die Kälte in den ganzen Körper, andererseits wirkt sie sich auf die Atmung aus. Der Kehlkopf beginnt zu schmerzen und der Energiebedarf steigt enorm. Zusätzlich war das Gelände flach, was ständiges Pedalieren erforderte. Es blieb keine Zeit zur Erholung.

Schon kurz nach Mitternacht stellte sich auch noch Schläfrigkeit ein. Diese ignorierten die beiden bis Buchs, wo sie nach 5 Uhr in der Früh einen Bankomaten-Raum fanden. Diese sind bei Ultrafahrer*innen sehr beliebt, weil sie 24 Stunden geöffnet und meist warm sind. Eine halbe Stunde dösen musste genügen, bevor die beiden die Fahrt wieder aufnahmen. In Sargans folgte dann das Frühstück ‒ endlich etwas anderes als Riegel und Gels. Auf dem Weg Richtung Flums und zum zweiten Checkpoint dämmerte es und die Sonne ging im Rücken der beiden auf. Am Checkpoint zeigte sich die Müdigkeit: Sie fanden erst nach längerer Suche die geforderte Antwort.

Hügelig

Mit dem Tageslicht kam auch ein wenig Energie zurück. Gleichzeitig mussten die beiden konstatieren, dass sie nach fast 250 Kilometern Fahrt erst rund 1000 Höhenmeter absolviert hatten. Es war also klar, dass noch ein paar ‒ grösstenteils steile ‒ Anstiege folgen würden. Zunächst ging es auf den Kerenzerberg am Ende des Walensees. Ein eher gleichmässiger Anstieg, der in der Kälte willkommene Wärme brachte. Weiter Richtung Zürichsee, über den Hirzel und zum Zugersee blieb das Terrain hügelig. In den Anstiegen drosselten die beiden das Tempo, in den Abfahrten versuchten sie sich zu erholen. Wobei Marco definitiv die besseren Beine hatte und deshalb Ralph beim Durchhalten unterstützen konnte.

Dabei halfen auch das sonnige Wetter, die angenehmeren Temperaturen und das fantastische Alpenpanorama. Zwischen Sempacher- und Baldeggersee fuhren die beiden weiter Richtung Reinach am Hallwilersee, dem letzten Checkpoint. Auf dem Weg dorthin begann Ralphs Magen zu rebellieren. Nur Getränke gingen noch rein. Kurze nach dem Checkpoint setzte die Dämmerung ein und die zweite Nacht begann. Nun galt es, die verbliebene Energie einzuteilen, um einfach nur noch ins Ziel zu kommen. Immerhin waren lediglich rund 35 ‒ hügelige ‒ Kilometer noch zu bewältigen. Am Samstagabend um 18:30 waren die beiden wieder am Ausgangspunkt, nach 19 Stunden Fahrt und vier Stunden Pause.

Fazit

Einmal mehr war ein Brevet von AUDAX SUISSE perfekt organisiert. Aber es ist ein riesiger Unterschied, ob mensch in angenehmen Konditionen oder eben unangenehmen fährt. In unserer Serie «Going the distance» haben wir bereits viele Tipps gegeben. Diese Fahrt hat eindrücklich gezeigt, dass es sich definitiv lohnt, diese zu beherzigen. Vor allem macht eine gute Vorbereitung die Fahrt nicht unbedingt leichter, aber die Probleme lassen sich einfacher aushalten. Und: Ganz viel passiert im Kopf!

 

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