Going the distance: «Körperlich, technisch und mental herausfordernd»
25 November 2022・storyEtwas vom Schönsten, was ein Bike bietet, ist Freiheit. Zu fahren, wohin Du willst. Deine körperlichen und geistigen Grenzen zu erweitern. Die Serie «Going the distance» soll Dir als Leitfaden und als künftige Inspiration dienen. Sie basiert auf unseren eigenen Erfahrungen mit Bikepacking, Randonnéees und Ultradistanzrennen.
Dieses Mal geht es aber nicht um unsere eigenen Erfahrungen, sondern wir sprechen mit Lukas Franciszkiewicz. Lukas ist 35 Jahre alt, Produktdesigner und erfahren in Ultradistanzrennen. Ausserdem ist er Guide bei OBST&GEMÜSE.
Lukas, wie bist Du zum Rennradfahren gekommen? Was hat Dich auf die Ultradistanz gebracht?
Lieben gelernt habe ich das Radfahren durch das tägliche Pendeln im Studium in London. Ich habe angefangen, längere Touren am Wochenende zu fahren – damals noch auf meinem Singlespeed von Koga Miyata mit Stahlrahmen und ausgedruckten Zettelchen mit Streckendaten. Die Ausfahrten wurden immer länger und 2017 habe ich mir mein erstes sportliches Rennrad zugelegt.
Bei welcher Gelegenheit war Deine erste Begegnung mit der Ultradistanz? Wie hast Du das Langstreckenfahren kennengelernt? Bist Du nach und nach weiter gefahren? Oder hast Du Dich gleich ins kalte Wasser gestürzt und ein Rennen absolviert?
Meine erste Begegnung mit der Ultradistanz war eine 2,5-Tages-Bikepacking-Tour von London nach Paris und zurück. Das war auch der Moment als ich das erste Mal vom Transcontinental Race (TCR) gehört habe. Die Idee, unabhängig von Unterstützung, ein 4000-Kilometer-Rennen durch Europa zu fahren, hat mich total fasziniert. In einem Anflug von Hochmut habe ich mich dann für die 2019er-Edition des TCR angemeldet. Meine längste Ausfahrt war zu dem Zeitpunkt rund 180 Kilometer.
Wie war das erste Mal?
Ich war zwar hoch motiviert, aber ein kompletter Rookie in Bezug auf die körperlichen und mentalen Herausforderungen der Ultradistanz. Bereits am zweiten Tag haben meine Achillessehnen angefangen zu schmerzen, die Feinmotorik in den Händen ging flöten, mir sind Schaltkabel gerissen … kurz gesagt, ich hatte meine Schwierigkeiten. Trotz allen Herausforderungen – oder gerade deswegen – hatte ich auch unglaublich schöne Momente, die mich motiviert haben weiter zu machen. Die letzten Kilometer im Gegenwind durch Frankreich waren die Härtesten. Letztlich war es meine Sturheit, die mich irgendwie ins Ziel nach Brest gebracht hat.
An welchen anderen Events hast Du seit diesem ersten Rennen teilgenommen?
Ich wusste relativ schnell, dass das TCR nicht das letzte Rennen in diesem Format sein würde.
Allerdings hatte ich genug vom stressigen Strassenverkehr und wollte lieber off-road unterwegs sein.
Da kam die erste Edition des Atlas Mountain Race sehr gelegen. In den nächsten Jahren bin ich dann dreimal das heimische Hope 1000, den Highland Trail 550 in Schottland und das Trans Pyrenees Race gefahren.
Welche Veranstaltung war für Dich besonders eindrucksvoll? Oder welche weckt die besten Erinnerungen?
Das Atlas Mountain Race war landschaftlich als auch kulturell unglaublich inspirierend. Ausserdem war das Ziel in Agadir ein Camp, in dem alle Finisher untergebracht wurden. Dadurch hatte man die Gelegenheit, sich mit den anderen Fahrern über seine Erlebnisse auszutauschen. Das Thema Nr. 1 war das Fluchen über die unfahrbare Sandpassage auf den letzten Kilometern zum Ziel.
Wie hast Du Dich auf das erste Ultradistanzrennen vorbereitet?
Ich hatte mir vorgenommen, in dem Jahr vor dem Start 8000 Kilometer zu fahren. Ein paar Bikepacking-Trips, um das Schlafen draussen zu üben, waren auch dabei. Von strukturiertem Training habe ich damals noch nichts gehört. Einen grossen Teil meiner Zeit habe ich auch mit meinem Setup verbracht – das war für mich quasi alles neu.
Was hat sich in der Vorbereitung geändert?
Mich reizt, dass Ultra-Endurance-Rennen zu gleichen Teilen körperlich, technisch und mental herausfordernd sind.
Deshalb versuche ich mich inzwischen auf jeden Teil vorzubereiten.
Dazu gehört auch zu verstehen, wie der Körper auf die Belastung reagiert oder technische Abfahrten zu üben.
Wie bringst Du das Training und die Vorbereitung in Deinem Alltag unter?
Firestarter!! :)
Gab es jemals ein Rennen, bei dem Du aufgeben musstest? Oder beinahe aufgegeben hättest? Wie war das mental?
Der Highland Trail 550 letztes Jahr war mein erstes Rennen, das mit einem DNF (did not finish) geendet hat. Meine organischen Bremsbeläge haben den nassen Bedingungen in Schottland nicht standgehalten und ich musste letztlich aufgrund eines kompletten Bremsversagens aufgeben. Mental war das nicht leicht zu verarbeiten, aber auch das richtige Equipment zu wählen, ist Teil der Herausforderung.
Wie sieht Dein Setup aus?
Was mein Setup angeht, kann ich ziemlich nerdig werden. Ich tausche permanent Teile an meinen Fahrrädern aus, auf der nicht endenden Jagd nach Langstreckenkomfort.
Ausserdem habe ich angefangen, mir eigene Rahmentaschen zu nähen.
Das Werken an meinem Setup bringt mir ebenso viel Freude wie das Radfahren selbst.
Gibt es wichtige Dinge, die Du immer dabei hast?
Eine durchsichtige Brille für das Fahren bei Nacht.
Was rätst Du einer*einem Einsteiger*in?
Eine Sache, die für mich einen grossen Unterschied gemacht hat, ist die Erkenntnis, dass nach jedem Stimmungs- oder Leistungstief auch irgendwann wieder ein Hoch folgt. Wenn man sich das in den schweren Momenten bewusst macht, kann das mental eine enorme Hilfe sein.
Fallen Dir bestimmte Rennen ein, die sich perfekt für eine*n Anfänger*in eignen?
Streng genommen zwar keine Rennen, allerdings würde ich jedem die Torino-Nice-Rally – egal ob als Gruppenstart oder Bikepacking-Trip – empfehlen. Die Strecke ist mit einem Gravelbike 100 % fahrbar, bietet absolut atemberaubende Landschaften und ist logistisch einfach zu organisieren.
Was sind Deine Zukunftspläne? Gibt es Rennen, an denen Du noch teilnehmen willst?
Ganz oben auf meiner Liste steht der Highland Trail 550 – dieses Jahr hoffentlich bis ins Ziel. Auch der Colorado Trail und das Silk Road Mountain Race reizen mich.
Wie viele Jahre willst Du noch Rennen fahren?
Das hängt ganz davon ab, wie lange ich noch Spass am Rennformat habe. Ob die Motivation für Rennen im Alter bestehen bleibt, wird sich zeigen. Es gibt mir allerdings Zuversicht, dass 60+-Fahrer*innen in Ultradistanzrennen keine Seltenheit sind – aber vielleicht sollten wir darüber in 20 Jahren noch mal sprechen.
Vielen Dank für die interessanten Einblicke in Dein «Ultradistanzleben».
Falls Du noch Fragen an Lukas hast, erreichst Du ihn am einfachsten über Instagram.