Ein genialer Trip

22 September 2021・story
Ein genialer Trip

Einmal mit dem Bike durch die ganze Schweiz. Manch eine*r hatte schon diese Idee. Die Swiss Ultracycling Challenge (SUCH) hat es zu ihrem Konzept gemacht: ein Rennen ab einem Bahnhof durch alle 26 Kantone mit Ziel auf dem Bundesplatz in Bern – Route und Startort frei wählbar. Das Ganze selbstverständlich self-supported: keine Hilfe von aussen, keine Übernachtung Zuhause oder bei Freund*innen und Pannen selber beheben.

Als kleines Supplement gabs bei der zweiten Ausgabe auch noch sieben Checkpoints verbunden mit kulinarischen Köstlichkeiten: in Chambésy, Jaun/Bellegarde, Münster, Lavorgo, Bad Ragaz, Flawil und Bellelay. Der einfache Grund: Niemand sollte die Route der letztjährigen Siegerin Fiona Kolbinger nachfahren können. Unter dem Strich ergab das eine ungefähre Distanz zwischen 900 und 1100 Kilometer und um die 10’000 Höhenmeter. Zu absolvieren vom Mittwoch, 8. September um 10:10 Uhr bis spätestens Sonntag, 12. September um 12:00 Uhr.

Welche Route?

Mit diesen Vorgaben waren auch die Fragen für die Routenplanung klar: mehr Höhen-, dafür weniger Kilometer? Oder umgekehrt? Wann sollen die Höhenmeter kommen: am Anfang oder am Ende? Das Bike auch einmal tragen, dafür Kilometer sparen? Ihre Antworten auf diese und weitere Fragen mussten die Fahrer*innen in den Wochen vor dem Start finden. 

Marco Billstein und Ralph Schindel fuhren das Rennen als Pair. Ihr Ziel war es, im Laufe des Samstags, also am vierten Tag, ins Ziel zu kommen. Für den Start wählten sie den Bahnhof in Münster im Wallis, nahe bei einer Metzgerei, dem höchstgelegenen Checkpoint. Über den Nufenenpass ging es ins Tessin nach Lavorgo zum zweiten Kontrollpunkt – ebenfalls eine Metzgerei. Der Fleischbedarf war fürs Erste gedeckt, denn an jedem Checkpoint durfte eine Spezialität mitgenommen werden. Von Lavorgo ging es zurück und über den Gotthard nach Andermatt zum späten Mittagessen. Damit waren schon mal viele Höhenmeter erledigt. Und die Pause sehr willkommen!

Runter durch das Urner Reusstal fuhren die beiden weiter zum Vierwaldstättersee und über die Axenstrasse nach Brunnen. Die Axenstrasse ist im Feierabendverkehr kein Vergnügen, auch wenn der Veloweg abgetrennt ist. Der Lärm der Autos und Lastwagen ist ohrenbetäubend. Aber SUCH ist auch keine Genussfahrt, sondern ein Rennen… Um die Rigi ging es weiter nach Küssnacht, wo langsam die Nacht einsetzte, und nach Luzern. Mit Hergiswil und dem Surferparkplatz am Alpnacher See deckten sie auch gleich noch Ob- und Nidwalden ab. Zurück entschieden die beiden, kurz vor Luzern zu übernachten. In einem Park in Horw fanden sie einen Platz. 226 km und 3700 Höhenmeter waren geschafft.

Der nahe Verkehr und einsetzender Regen um 2:30 Uhr sorgten für wenig Ruhe und eine kurze Nacht. Das Schlafzeug packten sie nass ein und fuhren kurz vor 4 Uhr weiter, da es keinen Anschein machte, dass der Regen aufhören würde. Richtung Zürichsee nahmen sie die Ostschweiz in Angriff. In der Linthebene blies ein strenger Gegenwind. Kraftaufwand und Pace standen in keinem Verhältnis: Gefühlt für 40 km/h pedaliert und ein Tempo von 15 km/h erreicht. Aber wie heisst es doch so schön: «Gegenwind formt den Charakter». 

Dieser wurde am Walensee weiter geformt, denn der leichte Regen ging in einen Dauerregen über. Das Wasser stand auf der Strasse. Erst kurz vor Bad Ragaz liess der Regen nach. Nach dem Checkpoint – eine Bäckerei – unternahmen die beiden einen kurzen Abstecher nach Fläsch, um sich Graubünden zu sichern. Auf dem Rheindamm ging es dann wieder im Dauerregen bis nach Oberriet und über den Eichberg ins Appenzellerland. Ab dort gab es eine wettertechnische Entschädigung: Es wurde sonnig, warm und trocken. 

Im sanktgallischen Flawil wartete der nächste Checkpoint: Maestrani’s Chocolarium, unter anderem bekannt für die Munz-Branchli. Nach der süssen Stärkung fuhren die beiden weiter durch das Thurgau Richtung Eglisau, um auf dem Weg Schaffhausen abhaken zu können. In Seuzach entschieden sie sich, am Abend ein Hotelzimmer zu nehmen, um die nassen Sachen zu trocknen. Das angepeilte Hotel befand sich in Laufenburg und ein Zimmer war dank Vorreservation noch zu haben. Der zweite Tag brachte 322 Kilometer und 2700 Höhenmeter.

Nach einer erholsamen Nacht mit sechs Stunden Schlaf nahmen die beiden erst um 5 Uhr den dritten Tag in Angriff. Mit der Schleife über Basel hatten sie auch Basel-Stadt und Basel-Landschaft durchfahren. Über das Laufental und Delémont steuerten sie den nächsten Checkpoint an. Für die Maison de la Tête de Moine in Bellelay gab es aber noch einige Höhenmeter zu überwinden. Von Undervelier führte der Weg durch die wunderschöne Gorges du Pichoux. Mit diversen Käserosetten im Magen war der Weg einfacher Richtung Biel mit dem Col de Pierre Pertuis, den es noch zu bezwingen galt.

Am linken Bielersee-Ufer entlang fiel wieder der starke Verkehr auf. Wohl gibt es einen markierten Veloweg, der restliche Verkehr ist aber sehr zügig unterwegs. Über Le Landeron nahmen sie den Kanton Neuenburg mit. Am rechten Ufer des Neuenburgersees war es zwar ruhiger, dafür fehlten Verpflegungsmöglichkeiten. Restaurants waren geschlossen, Einkaufsläden nicht zu finden. Erst in Echallens gab es endlich zu essen. Einmal mehr bewahrheitete es sich, dass mensch nicht mit leerem Magen einkaufen soll. Auf jeden Fall hatten die beiden auch noch genug für das nächste Frühstück.

Reichhaltig essen

Zwischen Lausanne und Morges gerieten Marco und Ralph in den Wochenend-Feierabendverkehr. Übermüdet und mit bereits mehr als 200 Tageskilometern in den Beinen eine unwirkliche Erfahrung, auf welche die beiden gerne verzichtet hätten. Am Genfersee entlang fuhren sie bis Chambésy und damit zum dritten Checkpoint und einem kühlen sowie alkoholfreien Bier. Auf dem Hinweg begegneten ihnen Fahrer*innen, die bereits dort waren, auf dem Rückweg solche, die noch hin mussten. In Nyon gab es ein reichhaltiges Abendessen in einem Restaurant fast direkt am See bevor das nächste Nachtlager gefunden werden musste. Die beiden entschieden sich für eine Kirche in Gland, nach dem sie 304 Kilometer und 2500 Höhenmeter zurückgelegt hatten.

Dumm nur, dass in der Kirche noch eine Versammlung lief. Kurz improvisiert, legten sich die beiden hinter die Kirche. Dies sollte sich als schlechter Entscheid erweisen. Zum einen war der Glockenschlag der Kirche wie Donnerhall, zum anderen waren viele Leute unterwegs – eigentlich normal an einem Freitagabend. Unter anderen lief einer in die beiden rein, während sie schliefen. Aus einer – geplant – kurzen Nacht wurde auch noch eine nicht sehr erholsame. Mit der Aussicht auf die baldige Zielankunft war das aber zu verkraften. Um 2:40 Uhr ging es weiter. 

Die ersten 45 Kilometer bis Cully blieb die Strecke flach am Genfersee. Danach begann der Anstieg durchs Lavaux, der es in sich hatte. Erschwerend kam hinzu, dass die beiden die sonst wunderbare Aussicht nicht geniessen konnten, weil es noch dunkel war. Über Châtel-St-Denis und Bulle steuerten die beiden den Jaunpass über die alte Passstrasse an. Im oberen Drittel befand sich mit der Laiterie-Fromagerie de Jaun der letzte Checkpoint.

Retour ging es über die neue Passstrasse und danach am Lac de Gruyére entlang durch den Kanton Freiburg Richtung Ziel. Nach ein paar letzten steilen Rampen erreichten die beiden das Ziel noch vor dem Mittag – glücklich und müde. Sie hatten noch einmal fast 180 Kilometer und 2000 Höhenmeter überwunden.

Fazit

SUCH ist sehr gut organisiert. Eine gesteste und reichhaltige Sitzcreme ist wichtig. Diese regelmässig und in kürzer werdenden Abständen aufzutragen ebenfalls. Hilfreich sind Ergobars auf dem Lenker. Sie entlasten das Gesäss und helfen entweder Kraft zu sparen oder schneller zu fahren. Und zu guter Letzt: Sich immer vergewissern, dass es in nicht zu langer Distanz eine Verpflegungsmöglichkeit gibt. Alles in allem war es ein genialer Trip, der riesigen Spass gemacht hat.

 
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