Going the Distance: «Auch 100 Kilometer sind bereits eine gute Distanz» (IV)
03 Dezember 2024・storyEtwas vom Schönsten, was ein Bike bietet, ist Freiheit. Zu fahren, wohin Du willst. Deine körperlichen und geistigen Grenzen zu erweitern. Die Serie «Going the distance» soll Dir als Leitfaden und als künftige Inspiration dienen. Sie basiert auf unseren eigenen Erfahrungen mit Bikepacking, Randonnéees und Ultradistanzrennen.
SUCH, die Swiss Ultracycling Challenge, hat sich im Schweizer Ultracycling-Kalender etabliert. Unsere Guides Jeremy und Francesco haben auch 2024 wieder teilgenommen. Wir haben uns mit ihnen über SUCH und die Faszination Ultracycling unterhalten. Im ersten Teil drehte sich das Gespräch darum, wie sie zum Ultracycling gestossen sind und was Ihnen an SUCH besonders gefällt. Im zweiten Teil sprachen sie über ihre Erlebnisse an der diesjährigen SUCH. Der dritte Teil behandelte die mentale Vorbereitung und wie sie sich während des Events motivieren.
O&G: Welche Tipps habt Ihr für Neueinsteiger*innen ins Ultracycling? Worauf ist zu achten?
Jeremy: Ich würde die ganze Brevet-Serie von AUDAX SUISSE mit 200, 300, 400 und 600 Kilometern absolvieren. Und nicht gleich mit 1000 Kilometern einsteigen. Dieser Aufbau ist wichtig.
O&G: Auf den Brevets gibt es ja auch kaum Druck, keine Rangliste, sondern nur ein Zeitlimit.
Francesco: Da bin ich ganz bei Jeremy. Auch 100 Kilometer sind bereits eine gute Distanz, die Du nicht so einfach «aus der kalten Hose» fährst, mit nur einer Flasche Wasser am Velo. Das wäre eher ein naiver Ansatz. Wenn Du Dich dagegen gut vorbereitest und Dich gut verpflegst unterwegs, kannst Du es schaffen. Die Strecken sukzessive zu verlängern, sei es mit Freund*innen, bei Brevets oder auch alleine, ist sicher ein guter Weg hin zu Ultradistanzen.
Jeremy: Ja, und da kommt auch wieder das Equipment ins Spiel, das nachts noch viel wichtiger ist.
Auf meiner ersten Fahrt in der Nacht hatte ich nur ein Licht und es hielt nur fünf Stunden, gegen Morgen hatte ich kein Licht mehr.
Du musst gut überlegen, wie das Licht konfiguriert sein muss, dass es zwei oder sogar drei Nächte funktioniert. Dynamo oder Powerbank, zum Beispiel.
Francesco: Solche Fragen stelle ich mir heute noch. Die Antworten hängen für mich auch von der Veranstaltung ab.
O&G: Bei aller Erfahrung bleiben also trotzdem noch Unwägbarkeiten und Fragen, die Ihr für Euch beantworten müsst. Und manchmal stellen sich diese Antworten als falsch heraus.
Francesco: Wenn ich etwas brauche, dass ich aufgrund meiner Risikobereitschaft zu Hause gelassen habe, ist das natürlich blöd und ich verliere dadurch möglicherweise Zeit. In der Schweiz ist es aber meist nicht schwierig, ein fehlendes Equipment wie zum Beispiel Ersatzteile oder Kleidungsstücke schnell zu finden und zu kaufen.
Jeremy: In diesem Jahr habe ich auf den Schlafsack verzichtet und nur ein Bivy mitgenommen. Dafür hatte ich mehr Kleider dabei, unter anderem eine Daunenweste. Eine Nacht habe ich den Entscheid bereut und wäre froh gewesen um den Schlafsack. Aber ich habe es trotz kalter Beine überlebt. Das sind halt die Kompromisse, die Du eingehen musst, wenn Du möglichst leicht unterwegs sein willst.
O&G: Mensch muss sich also entscheiden, und dann mit dem Entscheid klarkommen.
Jeremy: Genau. Oder unterwegs einkaufen!
O&G: Ist das auch ein Teil des Abenteuers, auf eine sehr kleine Welt reduziert zu sein? Mit wenig auszukommen und sich durchzuschlagen?
Francesco: Das ist «part of the game»!
Jeremy: «Survival on the bike» …
O&G: Macht das auch einen Teil der Faszination Ultracycling aus?
Jeremy: Für mich kommt noch die Community bei SUCH dazu. Am Sonntag gibt es einen grossen Brunch. Die Teilnehmenden treffen sich noch einmal. SUCH ist ein cooler Event mit coolen Organisatoren. Klein, aber fein. Nicht so wie zum Beispiel das Alpenbrevet. Und die SUCHies aus Basel haben sich auch noch nach dem Event getroffen.
Francesco: SUCH ist sehr familiär. Die Teilnehmenden haben ein gemeinsames Ziel, den Bundesplatz in Bern.
Wir dürfen und müssen einander helfen bei Bedarf. Gleichzeitig gibt es trotzdem den Wettkampf – Anreiz und Spass zugleich.
Mich erinnert das auch ein wenig an die Alleycats der Kurierszene, an denen wir uns zuerst gemessen und anschliessend gemeinsam Party gemacht haben. Während des Rennens wollte aber jeder gewinnen. Ein unterhaltsamer Wettkampf.
Jeremy: Genau – «for fun race» und nicht ein «win at all costs».
O&G: Herzlichen Dank für dieses Gespräch und den Einblick in die Welt des Ultracyclings.
Bilder: such.bike, Tobias Schuerer